WETTER
Theater heute, 04/25
Druck der Verantwortung
Noch ist sie vielfältig in ihren Formen, Stoffen und Strukturen: Ein Rundgang durch die Berliner Freie Szene kurz vor der Halbierung ihrer Fördermittel
Im oberen Stock des Gebäudes der Malzfabrik in Berlin-Tempelhof ist es dunkel, nur an den Seiten der schwarzen Rollos blitzt goldenes Abendlicht herein. Ein heißer Sommertag hat dem Raum unterm Dach ordentlich eingeheizt. Vorhänge aus Vlies-Gewebe, Spiegelfolie und Laser-Gaze teilen ihn in Flure und Kammern. Videoprojektionen, etwa von stark vergrößerten Wetterkarten, auf diese meist transparenten Texturen wer- den im Verlauf der Performance-Konzert-Installation «Wetter» unterschiedliche Atmosphären und Raumgefühle erzeugen. Auf die «Zimmer» verteilten sich Musiker:innen mit ihren Instrumenten: Schlagwerk, Flügel, Cello, Horn und Geige scheinen lange Zeit unabhängig voneinander wie ein sich fern ankündigendes Gewitter leise vor sich hin zu grummeln. Dazwischen schweben schwarze Ballone.
Claudia Splitt und Florian Feigl heben mit sanfter Sachlichkeit abwechselnd zum «Vortrag über das Wetter» an, der, ausgehend von John Cages «Lecture on the Weather», von den zwölf Winden des Aristoteles bis zum Blitzableiter-Erfinder Benjamin Franklin führt und immer wieder die Klimadebatten der Gegenwart streift. Während man ihren etymologischen Überlegungen und Abschweifungen, etwa zur Rolle des Luftdrucks bei der Espresso-Zubereitung oder der Stimmung von Stradivari-Geigen lauscht, während bei der Rede vom Sturm alle Instrumente langsam anschwellen und losbrausen, um sich später in einer Beethoven-Sonate oder der Jazz-Ballade «What a Difference a Day Made» wieder zu zerstreuen, tropft einem beim Wandeln durch die windstille Etage leise der Schweiß von der Stirn. Ein performativer Widerspruch, der aber gut zu Jörg Laues künstlerischer Arbeit passt.
Seine Lose Combo gehört seit 1994 zum Urgestein der Berliner Freien Szene, die sich damals in einer radikalen Umbruchphase befand. Laue war einer der frühen Gießen- und Hildesheim-Absolvent:innen, die Mitte der Neunziger die leicht verstaubten Berliner Off-Theater der Vorwendezeit aufscheuchten. Schon damals war sein Ansatz entschieden postdramatisch: Statt linear erzählter Geschichten interessieren ihn vor allem Strukturen seines künstlerischen Materials, was seine Arbeiten abstrakt anmuten lässt, obwohl sie die Sinne auf vielen Ebenen ansprechen. Langzeitprojekte wie die Reihe «performaps» über unter- schiedliche Formen der Kartografie, zu der auch «Wetter» gehört, zeugen von enormer künstlerischer Kontinuität und Hartnäckigkeit. Und das trotz prekärer Bedingungen, denn nach einigen Jahren in der zweijährigen Basisförderung muss die Lose Combo jetzt wieder Anträge auf Einzelprojektförderung stellen. […]
Eva Behrendt