MYTHOS EUROPA

Die Welt, 29.3.1999

Putsch der Künste

Verschmelzung unterschiedlicher Kunstformen auf einer Bühne ist oft kein demokratischer Vorgang, sondern ein Putsch: Eine Sparte macht sich die anderen Untertan. Meistens spielt das Drama seinen Heimvorteil gegenüber der Musik oder der bildenden Kunst aus.
Bei "Mythos Europa" im Theater am Halleschen Ufer arbeitet die Lose Combo konsequent daran, daß keiner der einzelnen Bestandteile zu große Wichtigkeit erlangt. Am ehesten entsteht der Eindruck eines animierten Konzerts, weil die Streicher, die ein Zweiklang-Quartett von Jörg Laue 85 Minuten mit beachtlicher Zähigkeit spielen, ständig sichtbar sind. Elektronische Klänge ergänzen den Soundtrack. In diese Struktur fügen sich Schauspieler, die Variationen des Mythos von der Königstochter und dem Gott Zeus rezitieren - leibhaftig oder als Erscheinungen zwischen meditativen Videoprojektionen. Denjenigen, die durchhalten, beschert der nach Mustern des Minimalismus funktionierende Abend eine seltsam berauschende Erfahrung. Durch die Verlangsamung der Phänomene und die Abkoppelung von musikalischen und theatralischen Zeitprinzipien wird die Wahrnehmung geschärft. Etwas kulturbeflissenen Masochismus vorausgesetzt.

m.h.