GREEN LINE

Theater heute, 02/22

Spur der Steine
Jörg Laues Lose Combo sucht in der multimedialen Performance-Installation «Green Line» in den Berliner Uferstudios Zugänge zu unwegsamem Grenzgebiet

Schon schön, wenn einem Performancekunst erstmal lauter Fragezeichen aufs Gesicht malt. Im dunklen hohen Saal des Heizhauses auf dem Gelände der Berliner Uferstudios blickt man auf quer durch den Raum gebaute Mauern. Ziegel aus Steinwolle, meterhoch gestapelt und anscheinend wenig stabil – «Nicht anlehnen!», warnt eine Hilfskraft. Es gibt zwei dieser Mauern, parallel bilden sie eine Gasse. Darin klingt alles, was um sie herum performt wird, dumpf und schallgedämmt.
Die Musikerinnen des Duos Tocar an Geige und Flügel etwa, die sich beim improvisierten Spiel an Landkarten auf ihren Tablets orientieren. Oder die Stimmen von Claudia Splitt und Florian Feigl, die in Overalls vors Mikrofon treten und, von Pausen unterbrochen, abwechselnd einen Text vortragen, der vor dem Publikum eine etymologische Karte der Insel Zypern ausbreitet.
Tatsächlich erschließt sich die Performance-Installation «Green Line» von Jörg Laues Lose Combo am ehesten im Modus des Wanderns. Wobei weniger das sportliche als das umherschweifende Wandern gemeint ist, nicht nur der Füße, sondern auch der Augen, Ohren und Gedanken. Wahrnehmungswandern sozusagen. Eine Praxis, die Laue schon seit Gründung der Lose Combo 1994, nach seinem Theaterstudium in Gießen, zu erforschen begonnen hat. Gleich zu Anfang sprechen Splitt und Feigl von «Wanderwörtern», Wortstämmen, die buchstäblich durch Zeit und Raum gereist sind, sich verändert haben und doch erkennbar blieben. Im Nachzeichnen der Wege, die solche Wanderwörter gegangen sind, will Laues Text sich unzugängliches Revier erschließen oder, genauer, eine komplexe raum-zeitliche Konstellation.

Faktischer Ausgangspunkt ist die «Green Line» genannte UN-Pufferzone, die Zypern seit 1974 teilt, ein 180 Kilometer langer und zwischen sechs Metern und sechs Kilometern breiter Grenzstreifen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten. «Eine Art Niemandsland, in dem in vier verbliebenen Dörfern nur ein paar hundert Menschen zwischen den alten Feuerlinien wohnen.» Von hier aus unternimmt Jörg Laue Abstecher in die Geschichte des Landes, dessen Bewohner sich beim Rückzug der Briten in einen Bürgerkrieg verstrickten, worauf der britische General Young um des Friedens willen mit einem grünen Buntstift besagte Linie auf eine Karte zeichnete – wobei die Farbe grün eigentlich zur Kennzeichnung von Minenfeldern benutzt wurde.
Oh, die Mine, gallisch mina! Ein gefundenes Fressen für den Wanderwortforscher, weil mindestens tripeldeutig: die Mine als Mineralgestein, als Ort der Metallförderung («Zypern» kommt von Cuprum, Kupfer, das auf der Green Line gefördert wurde), als Schreibgerät und als Sprengsatz. Von dort geht es weiter zu Verbformen auf Lateinisch, Englisch, Französisch: minuere – vermindern, demine – Minen räumen, determine – determinieren. Und just als der verschlungene Textkreis sich an dieser Grenzziehung in Raum und Zeit schließt, lassen Feigl und Splitt Theremine erklingen: «Das erste elektronische Musikinstrument wurde nach dem russischen Physiker und Cellisten Lev Thermen benannt, der es 1920 – nach den Grauen des Ersten Weltkriegs – auf der Suche nach einem Minendetektor eher zufällig erfand.»
Der Weg ins Gebirge, genauer gesagt: ins nach dem frühgriechischen Philosophen Anaximander benannten levantinische Unterseegebirge, führt über ganz ähnlich etymologische und philosophische Volten zurück in die einstige Grenzstadt Berlin, zur Mauer, die längst gefallen und als Gesteinsbrocken über den ganzen Globus verteilt ist. Doch das ist eigentlich schon Epilog und Abspann, während sich die Struktur des Textes an anderen Stellen dieser abenteuerlich dichten Installation ganz konkret wiederfinden lässt: in der Wanderpartitur, die Nadezda Tseluykin und Susanne Zapf mit Fingern und Steinen an Klavier und Geige nachvollziehen, in mediterranen Videolandschaften und Farbflecken, die an Wände und Mauern projiziert werden, in der geschichteten Steinwolle, auf der Green Line mitten durch den Theaterraum.

Eva Behrendt