FOUR John Cage

Neues Deutschland, 21.12.2002

Performance-Konzert

Jörg Laue, innovativster Raumgestalter der Berliner Theaterszene und gleichzeitig konsequentester "Am-Publikumsgeschmack-vorbei-Spieler", hat wieder zugeschlagen. Ins Podewil ist ein Labyrinth aus zu Wänden aufgetürmten Matten aus Steinwolle gebaut. Wegen der rechteckigen Abmessungen der Stapelware wirkt dieses Labyrinth sehr abstrakt, wegen des faserigen Zustands des Materials aber auch wieder organisch. Es könnte einen Irrgarten darstellen.
Schließlich bezieht sich Laue mit "FOUR John Cage. Performance: Konzert" auf die "Odyssee". Es soll aber auch die verwinkelten Gehörgänge nachempfinden, denn diese "Odyssee" ist dem Klangpionier John Cage gewidmet.
Einige Wände werden mit grünlich schimmernden, an Aufnahmen aus Nachtsichtgeräten erinnernden Videobildern Berlins angestrahlt. Odysseus, so der Vorschlag Laues, irre jetzt zwischen Marzahn und Wannsee herum. Er treffe Polyphem in der U-Bahn in Lichtenberg und sei in Zehlendorf an das Bett der Calypso gefesselt.
In anderen Teilen des Raums sind diverse Musikerarbeitsplätze eingerichtet. Zum Auftakt, einem Streichquartett von Joseph Haydn, können sich die Musikerinnen (zwei Violinen, eine Viola, ein Violincello) noch sehen. Danach werden sie in vier nur teilweise einsehbare Winkel "verstreut", in die Welt ausgeschickt eben.
Herzstück der Performance bildet Cages Komposition "Four", deren Arbeitsprinzip in der von Laue akkurat umgesetzten Vereinzelung der musikalischen Stimmen besteht. Schnell legt sich die anfängliche Verwunderung, Cages Klänge von den selben Instrumenten produziert zu sehen, die gerade noch Haydn ertönen ließen. Der recht gleichförmige Duktus der Komposition verbindet sich mit im Wegdämmern wahrgenommenen Odysseus-Berlin-Fragmenten zu einem traumartigen Gespinst, das wieder kräftigere Farben erhält, als zum Abschluß die "Capri-Fischer" ertönen und eine kleine Wolke orangenen Lichts in die abgedunkelte Bühne geblasen wird.
Am Ende vermag man kaum zu sagen, was mit einem geschehen ist. Auf irgendeine geschickte Art haben Laue und Cage Bilder im Unter- und Halbbewußtsein abgelegt, die immer wieder neu abgerufen werden wollen. Laues "Odyssee" ist ein stilles, fein gewirktes Amüsement, das luxuriös erscheint in lauten, grobschlächtigen Zeiten.

Tom Mustroph