FATZER/Monologie

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.10.1998

Sinnfetzen eines Fragments
Installation im Mousonturm

Drei nackte gelbe Glühbirnen hängen über einer riesigen grauen Tischplatte. UV-Licht taucht den Seminarraum im dritten Stock des Frankfurter Mousonturms in ein gräuliches Violett. Auf dem Tisch liegen unzählige kleine Lautsprecher, deren Leitungen in einem quadratischen Loch in der Mitte des Tisches verschwinden. Es sind Spuren, Wege oder Fäden, die der Zuschauer und Zuhörer, einmal an dem Tisch Platz genommen, aufnehmen kann, indem er sich etwa einen der kleinen unverkleideten, gleichsam nackten Lautsprecher ans Ohr hält.

Die Stimme des Schauspielers Hermann Beyer dringt zu uns durch, Sätze von Bertolt Brechts Fragment gebliebenem "Fatzer"-Text blenden sich ein und wieder aus. Man überhört leise die Textpassagen aus den anderen Lautsprechern, ein Gemurmel von Klängen und Lauten. Kaum hat der Besucher sich meditativ dem Tisch und den Sätzen um ihn herum und in ihm drin hingegeben, tritt plötzlich ein Herr mit Krawatte und Anzug ein und setzt sich zu uns. Hermann Beyer, das Gesicht gesenkt, die Hände zur Konzentration ineinandergelegt, gibt nichts preis. Er spricht mit langen Pausen ebenfalls Sätze aus "Fatzer" als eine Art lebendiger Lautsprecher.

Die Klang-Raum-Installation "Fatzer/Monologie" der Berliner Lose Combo, die ihren Raum schon im vorigen Jahr in Brechts altem Berliner Ensemble installiert hatte, konzentriert sich aufs Wesentliche. Das Klang-Theater von Jörg Laue, Hans-Friedrich Bormann und Christopher Martin ist eine strenge Inszenierung des Verschwindens und Wiederauftauchens von Textpassagen und Sinnfetzen, die dem Fragmentcharakter des Textes sehr nahe kommt. Fatzer zerfetzt.

Doch die Installation ist weniger ein Umgang mit den Brüchen des Brechtschen Materials vom Egoisten im Krieg als deren nachvollziehende Abbildung: "Fatzer" auf das Prinzip Leerstelle reduziert. Im Angesicht der von den Erben verordneten erstickenden Brecht-Treue hat ihr Umgang mit dem Text am Rand zur bildenden Kunst etwas Befreiendes. Auch für den Zuhörer. Aber Prinzipien sind meist undankbar und vor allem unkommunikativ. So sitzt man am Tisch, und die Zeit vergeht. Auch eine Erfahrung!

Gerald Siegmund