falls (LAST/Trilogie 1)

Gießener Anzeiger, 21.9.1999

Verrannt in ein philosophisch überladenes Konzept
Jörg Laues "Lose Combo" macht ratlos mit der Produktion "falls" im Berliner Theater am Halleschen Ufer

Düster dräut der Mythos. "falls" heißt diese jüngste Produktion der "Lose Combo" unter Leitung Jörg Laues im Berliner Theater am Halleschen Ufer, die Sophie Huber nach einem quälend langen abstrakten Einstieg in die Bedeutungsschwere stürzen lässt: "Man kann nichts sehen und es ist sehr hell." Oder in einen Traum, "ich kann mich erinnern, dass ich noch immer schlafe und deshalb mutmaßlich noch lebendig bin". Oder in einen Text, der mit elliptischen Kreisbewegungen in die Hermetik des Traums abstürzt. Oder in einem Text, der nach und nach die Bühne überwuchert, eine Bühne, deren übereinandergelegte Gazewände ein Palimpsest, also eine textliche Struktur, darstellen. Düster dräut der Mythos, und, wie gesagt, man kann nichts sehen. Ist das überhaupt ernst gemeint?
Die "Lose Combo", dies bedeutet Alte Gießener Schule, die ja seit dem raumgreifenden Auftritt der Neuen Gießener Schule letztes Jahr ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Wobei das nicht einmal böse gemeint war: Ein Vatermord hat in Gießen nicht stattgefunden, selbst die Bezugspunkte - der Theaterwissenschaftler Andrzej Wirth, das Frankfurter TAT, die Vorstellung rhizomatischer Textstrukturen bei Deleuze und Guattari - sind dieselben geblieben, nur die Art der Bezugnahme hat sich verändert, weg von der Rezeption als wahr definierter Autoritäten, hin zu einer Autoritätsgläubigkeit als Lustgewinn. Laue wird durch diese Veränderung nicht schlechter, seine Arbeiten wirken gegenüber der politisierten Coolness She She Pops oder der harmonischen Offenheit Grob Squads [sic!] nur nicht mehr auf absoluter Diskurshöhe, humorlos, hermetisch, reaktionär: Kunstwollen, klar. Das schaut man sich gerne noch ein paarmal an, nur interessieren mag es einen nicht mehr.
Aber: Der Nachbau des Dädaleischen Labyrinths als Performance, das ist einfach nicht ernst gemeint. Auftritt Winfried Tobias, Einstieg in einen Diavortrag über den Aufbau von "falls". Wie blöde! Wie toll! Was für ein Botho-Strauß-Humor!
Wolf Biermann sitzt in der Ecke und berechnet Fallgeschwindigkeiten, das war dann auch schon die Ironie, und sie war deplatziert. Der "Lose Combo" gelingt mit "falls" absolut nichts, sie verrennt sich im Pathos eines philosophisch überladenen Konzeptes, ihr Humor wirkt trotzig und verbohrt, sie verweigert sich jeglicher Konsumierbarkeit und bringt damit einen ganzen Theatersaal gegen sich auf (insbesondere für solch elitäres Verhalten sollte man "falls" dann schon wieder mögen). Laue im Interview. "Als gesellschaftliche Institution interessiert uns das Theater eigentlich nicht." Eigentlich ist das schon ziemlich schlecht. Aber eigentlich ist das auch alles gar nicht ernst gemeint. Darf es einfach nicht.
(Falk Schreiber)

Falk Schreiber