Dort. Medeamorphosen I (Glengreen)
Frankfurter Rundschau, 04.07.1994
Endspiel ohne Abschluß
Jörg Laues szenische Skulptur "Medeamorphosen"
Landschaft ohne Argonauten. Über dem mit Kies bedeckten Boden, etwas über Kopfhöhe, hängen vier kegelförmige Blöcke aus Eis, Eis-Lote, in der Fruhsommerwärme tropfend - eine Rauminstallation als Metapher der kalt, gefühllos verrinnenden Zeit? Aus dem Vorraum dringt die Musik eines Streichquintetts, Strukturen nach Johann Sebastian Bach, verlangsamt, aufgelöst zu gedehnten Klangflächen. Dazu tropfen die Eiskegel, unregulierten Metronomen gleich, im Festsaal der Universität vor sich hin. Eine junge Frau betritt den durch drei blauschwarze Mauern begrenzten Raum, sie stellt sich unter einen, der aufgehängten, Eiskörper, spricht von versteinerter Landschaft und von einer Frau. Keine Bildbeschreibung, mehr der Versuch einer Übermalung: "Medeamorphosen" - ein Mythos wird verwandelt.
Die Frau (Dominique Yachmi) spricht leise, emotionslos, gelegentlich streift sie die Haare zurück, wischt sie sich das Wasser aus dem Gesicht. Ohne Lautsprecherverstärkung wäre sie kaum zu verstehen, eigentlich ist sie nur Stimmkörper für einen Text, der durch Innehalten und Wiederholung, durch das Anschwellen anderer Stimmen aufgelöst und von dieser so lauten Stille absorbiert wird. Hinzu tritt ein Mann (Nikola Duric), die Arme energisch über der Brust verschränkt nimmt auch er Aufstellung unter einem der Eis-Lote. Er spricht einen Text von Heiner Müller aus dem Jahr 1972, "Herakles 2 oder die Hydra". Die Stimmen, die auch seinen Vortrag zunehmend überlagern, "Stimmen, die ihm ins Ohr sangen, Chöre von Stimmen", sind wie die nachwachsenden Köpfe der Schlange.
Jörg Laue, Absolvent des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft, nennt sein Projekt mit dem Titel "Dort. Medeamorphosen I (Glengreen)" eine Szenische Skulptur. In der Verbindung mit der Musik variiert die Performance das Thema der Polyphonie. Aber der kontrapunktischen Setzung, dem gleichwertigen Neben- und Miteinander unterschiedlicher Ausdrucksmittel entspricht keine Vielstimmigkeit im Sinne des Gesprächs von Individuen. Die beiden Monologe (der zweite Text stammt von Laue selbst) umkreisen lediglich in endloser Bewegung den Mythos. Die Sprache scheint Gefängnis ohne Ausbruchchance.
Tröstliches Intermezzo oder neuerliche Variation des Themas? Auf die rückwärtige Wand werden blaß, zunächst kaum erkennbar, Filmsequenzen projiziert. Sie zeigen die Hände eines Pianisten bei der Arbeit. Eine junge Musikerin (Christine Krapp: Solovioline) tritt vor die Projektionsfläche und spielt eine Partita von Bach, auf ihrem nackten Körper die Tasten des Klaviers und die zeitlupenhafte Bewegung der Hände. Die Zeit scheint still stehen zu wollen, doch es ist ein Endspiel ohne Abschluß. Für jeden abgeschlagenen Kopf wachsen bekanntlich drei neue nach.
Michael Grus