BRECHT INSTALLIEREN 1-3
junge Welt, 11./12. April 1998, Nr. 85
Papa will das nicht
Geburtstag und kein Ende: Die Lose Combo installiert Brecht in den Räumen des Berliner Ensembles
Das BE wartet auf Peymann, solange vertreibt es sich und uns die Zeit mit Geburtstag feiern. Das ist Fake. Der ernstzunehmende Theatermacher und -freund wartet auf das Jahr 2026, den 70. Todestag Bertolt Brechts. Da beginnt die Party. Der lange Arm des Toten, die Nachgeborenen werden entwaffnet und aus dem Rampenlicht verschwinden. Brechts Texte werden so verwendet werden können, wie es ihnen zusteht - als Material. Bis dahin benötigen wir die Hilfe derer, die Rechte besitzen, und diese Hilfe kann verweigert werden. Das ist nicht neu und löst dann doch Entsetzen aus. Das BE lädt die Lose Combo vom 1. April bis 1. Juni ein: Brecht installieren. Das Theater wird wahrgenommen, als Raum außerhalb des Bühnentempels; Brecht schleicht sich durch die Gänge, durch das Foyer. Bereits im Fragmentesommer '97 hatte die Lose Combo mit ihrer Fatzer/Monologie Zeichen gegen die Museumskultur des Brecht-Theaters gesetzt; das wird nun fortgesetzt. Lehrstücktexte als Zentrum der Installationen, denen der Betrachter jenseits des pädagogischen Diktats begegnet; die Erfahrung wird in gegenwärtige Kontexte überführt.
"Hilfeverweigerung", Lichtinstallation von Jörg Laue: Die Kühlschränke hinter den Tresen des Foyers werden ausgeschaltet, vom reflektierten Licht blauer Neonröhren. Elf blaue Glühbirnen hängen in einer Reihe von der Decke, daran Text-Blätter, durchsichtig. Die Sequenz "Hilfeverweigerung" aus dem "Badener Lehrstück vom Einverständnis" könnte in einem anderen Licht erscheinen - die Dialektik von Hilfe und Gewalt würde in einem Ruheraum auf den Betrachter konzentriert. Aber noch vor der Öffnung des Raumes steht das Verbot: Papa will das nicht. Das BE fordert die Künstler auf, ihre Arbeiten entsprechend zu modifizieren und beginnt sich im Eingang selbst zu installieren: Der Dramaturg Holger Teschke dichtet den ausgesuchten Lehrstücktext um: "Solange Geld herrscht, können Rechte verweigert werden/ Wenn kein Geld mehr herrscht, sind keine Rechte mehr nötig/ Also sollten wir nicht Rechte verlangen, sondern das Geld abschaffen/ Rechte und Geld geben ein Ganzes/ und das Ganze muß verändert werden." Ein Schülerprotest, den Akt der Veränderung überträgt man dem Künstler, im Einverständnis mit der Ohnmacht, das man gelernt hat. Jörg Laue führt eine andere Schrift vor das Licht: "Ein Satz, rechtlos/ nach Paul Celan:// Was sind das für Zeiten,/ wo ein Gespräch zwischen Blättern/ beinah verschwiegen bleibt,/ weil es Bertolt Brecht/ nicht ausschließt?"
Ein Satz, der keinen, Streit austrägt, der als Lösungsangebot nur enttäuschen kann, wenn man sich auf ihn stürzt und daran klammert, an einem Ort, der, sobald man ihn betritt, die Geschwätzigkeit ausschließt. Der textverrückte Betrachter, der verstehen will, wird enttäuscht und findet die Parallele zum Lehrstück. Eine Installation, die durch ihr Schweigen um sich greift und Kontexte eröffnet, sobald man sie von einer Erwartungshaltung befreit.
In Hans-Friedrich Bormanns Videoinstallation wachen gefilmte Porträts von Mitarbeitern des BE über Texttafeln mit, nurmehr, Brecht-Verben. In der Synchronisation von Ort-Bild-Text eröffnet sich das Spannungsfeld über die Rechte hinweg, ebenso in der Videoinstallation "Verlesung" von Christopher Martin, die jetzt nur noch aus der Distanz heraus ein fragwürdiges Ganzes ergibt - sobald man zu nahe tritt, verschwimmt das Bild.
Die Lose Combo reagiert im produktiven Sinn auf die Zensur. Ihre Arbeiten machen die Entschuldigungsgesten der Leitung - eigentlich sollte das so und nicht so sein - überflüssig, enttarnen sie als Zugeständnis derer, die einverstanden sind. Nicht umsonst stehen sie dann ihrer eingeladenen Kunst hilflos schweigend gegenüber, im Gegensatz zu den Betrachtern, die ausgesetzt darüber sprechen wollen - nach Brecht.
Fred Faser