inter/views (LAST/Trilogie 3)

Die Welt, 16.7.2001

Leicht verdaulich nur mit Bier

Geht man an einem schwül-warmen Sommerabend ins Theater am Halleschen Ufer, um zu sehen, wie sich die Lose Combo in der Aufführung "inter/views" mit dem Mythos von Orpheus und Euridike auseinander setzt, gilt es, die Imaginationskraft zu zügeln. Denn wüchse vor dem inneren Auge die Vision eines goldleuchtenden Bieres vor quellwasserblauem Grund, wäre es ratsam, den Zuschauersaal umgehend zu verlassen. Jörg Laues multimediales Performanceprojekt bricht nämlich keineswegs mit dem hartnäckigen Vorurteil, dass die Avantgarde ätherisch vergeistigt und gleichzeitig schwerverdaulich sei. Wer aber bereit ist, sich auf die Inszenierung einzulassen, er- und durchlebt 70 Minuten von einer suggestiven Wucht, wie sie allenfalls noch Narkotika bereiten.
Bachs 14. Kontrapunkt aus der "Kunst der Fuge" zerfranst in klebriger Trägheit unter den Fingern von Susanne Huber, bis er nahezu alle musikalische Stringenz verliert und sich in bloßem Klang auflöst, zerstückelt von Mittelwelle-Interferenzen. Darüber zitiert eine in stygischen Welten gefangene Euridike (Anja Bayer) Liebesbriefe an Orpheus. Weder inhaltlich noch sprachlich interessante Prosa, die hinsichtlich der Deutung mythischer Zeiten sogar verärgert. Aber nach und nach setzt das Zeitempfinden des Besuchers aus, der auf die changierenden Lichtverhältnisse der Bühne bückt, auf der ein Theater der Ereignislosigkeit aufgeführt wird, bar aller syntaktischen oder referenziellen Qualitäten, jenseits von Plot, Dialogen oder dramatischer Zuspitzung. Jörg Laue ist ein Meister der Übergänge, auch wenn diese nirgendwo herkommen und nirgendwo hinführen. Mit schwereloser Traumwandlerei inszeniert er eine Seelendusche, ein Theater, das glücklich macht - wenn der schwüle Sommerabend kein Bier verlangt.

mth