inter/views (LAST/Trilogie 3)

Berliner Zeitung, 17.7.2001

Wie ein Schatten seiner selbst
Will hoch hinaus: Jörg Laues Stück "inter/views"

In der Inszenierung "inter/views" von Jörg Laue kleiden weiße Webvorhänge die dämmerige Bühne des Theaters am Halleschen Ufer aus. Langsam wandern Lichtstimmungen darüber hinweg. Weich ineinander fließende Schatteneffekte wechseln sich mit grünlichen dreidimensionalen Lichtachsen ab, die dem Minimalismus der bildenden Kunst ihre Referenz erweisen. Alltagsgeräusche - hallende Fußschritte auf Straßenpflaster, technisches Rauschen - bilden eine Klangkulisse, die ebenso mäandert. Unvermittelt setzen Stimmen und Instrumente live ein. Nur schemenhaft lassen sich hinter dem Vorhang die Musiker und Schauspieler ausmachen. Ein Pianist spielt Bachs letzte Komposition aus "Die Kunst der Fuge". Ein Sprecher und eine Sprecherin meditieren über Ovids Metamorphosen. Begann sie vielleicht, über Orpheus' Liedern taub zu werden, fragt sich Eurydike. Dann kommt sie auf Narziss zu sprechen. Der sehe auch nur noch aus wie ein Schatten seiner selbst, seit er tot sei.
Wie in den vorigen Teilen wollen Jörg Laue und seine "Lose Combo" auch im letzten Teil der Trilogie LAST einen Erfahrungsraum schaffen, der im Alltagsstress angeblich zu kurz kommt. Es geht ihnen um nichts weniger als um den "undenkbaren Augenblick zwischen Leben und Tod" - um dem Moment eines mutmaßlich extremen Loslassens also, in dem Gedanken und Erinnerungen frei flottieren. Doch den Versuch, in solche Zwischenräume der (Selbst-)Wahrnehmung vorzudringen, kennt man von anderen Performancegruppen sehr viel besser. Jüngst zeigte etwa Penelope Wehrli mit "Operation Solaris" in der Staatsbank Mitte, wie ein multimediales Projekte gerade in der Zusammenhangslosigkeit von Dialogen und Bildern atmosphärisch ansprechen kann.
Laue dagegen verlangt von seinem Publikum alle Assoziationskraft und Geduld, um sich seine hermetischen Bilder zu erschließen. Diese aber geben wenig an Erkenntnisgewinn zurück. Klischeehaft inszeniert Laue den monadischen Raum eines Subjekts, das mit Entfremdung und Todesnähe kokettiert. Dass dabei zum Beispiel Flughafenlärm und hallende Schritte im Grunde sehr konventionelle Chiffren der Einsamkeit bilden, unterläuft die vorgebliche Unkonventionalität dieses Erfahrungsraums. Man hat den Eindruck, dass Laue selbst zeigen will, dass er die Kunst der Fuge beherrscht. Er variiert eine Hand voll Leitmotive, die in der Licht- und Tonführung, aber auch in den Texten nach einer Weile erkennbar wiederkehren. Doch am Ende wirken diese wie Phrasen im schlechtesten Sinne. Die gesamte Inszenierung scheint allzu sehr mit ihrer eigenen Wichtigkeit beschäftigt zu sein und verliert sich in einem kryptischen Raunen.

Henrike Thomsen