20 Minuten für John Lennon

Berliner Zeitung, 5.12.1998

Wahrnehmungen in der Krise
Der dreifaltige 6. Juni 98: "20 Minutes 98/2" im Theater am Halleschen Ufer

Das Triviale kommt vom Trivium. Etymologisch ist das der Ort, an dem drei Wege aufeinandertreffen. Im Mittelalter verstand man unter dem Trivium die drei Wege, durch die sich. die Welt sprachlich erschließen ließ: Grammatik, Dialektik und Rhetorik. James Joyce nutzte die Mehrdeutigkeit, als er im "Ulysses" keine Trivialität ausließ, um die Welt in Worten neu zu vermessen. Der Tag, an dem sein Roman spielt, ist der 16.6.1904.
Im Zeichen der Dreiheit steht auch die Idee des Theaters am Halleschen Ufer, drei Inszenierungen zu einem Abend zu versammeln. Vorgegeben wird ein Stichwort und der Rahmen von 20 Minuten, ansonsten haben die Regisseure freie Hand. Es ist ein Spiel auf Zeit. Man muß mit der Tür ins Haus fallen, sonst ist die Party vorbei, noch bevor man sich richtig vorgestellt hat. Dieses Mal, für "20 Minutes 98/2", war das Stichwort der 16.6.98. Zum "Weltalltag der Epoche" (Broch über "Ulysses") ist der Abend nicht geworden, aber er war die spannende Wegkreuzung dreier sehr unterschiedlicher Theaterformen. [...]
"20 Minuten für John Lennon", der dritte Teil des Abends unter der Regie von Jörg Laue, paßte eher zum 16.6.88. Viel Theorie-Diskurs über Bild, Sprache und Wahrnehmungskrisen, getragen vom Jargon der Beobachtung zweiter Ordnung: Man sah nicht viel, wurde aber schadlos gehalten mit ausreichend Seminarreflexionen darüber, warum dies so sei.

Ijoma Mangold